Die Zeichnungen, die Iris Thürmer zeigt, sind genaugenommen Malerei. Eine Zuordnung ist nicht eindeutig zu leisten andererseits auch wenig bedeutsam, hat sich der Begriff und das Medium Zeichnung selbst doch schon längst nach allen Seiten hin erweitert. Es sind Arbeiten auf Papier und Iris Thürmer benutzt das Papier als Bildträger - als Experimentierfläche für Techniken, vor allem aber für Farben. Farbe dient hier nicht nur zur Erzielung von Farbwirkung, Farbe ist zugleich Material. Die  verschiedenen Grundierungen (teilweise Kreidegundierungen) auf dem weißem oft bereits bearbeitetem Papier  werden überlagert von Farbschichten, die aus Lehm unterschiedlicher Fundorte und Pigmenten angerührt, teilweise mit Kreide aufgehellt sind, oder die sich aus einer Mischung von Pigmenten, H2O, Gouache, Acryl oder Tusche zusammensetzen.
In den Arbeiten bestimmen zum einen Farbtöne, Farben mit realem Landschaftsbezug - Farbschichten aus Erd – und  Naturtönen) das Seherlebnis, andererseits Linien und Zeichen, beim näheren Hinsehen Strukturen, z.T. in die Farbschichten geritzt. Die malerische Oberfläche als eine malerische Haut behandelnd mit dem spürbaren Verlangen, auf dieser Membran Zeichen zu hinterlassen.
Die ständige Befragung des Materials, Unvorhergesehenes einberechnend (das Reagieren der Elemente miteinander) bestimmt formal und inhaltlich die Arbeit von Iris Thürmer. Nichts kompositorisch von vornherein Kalkuliertes, nichts computergeneriertes, die  Arbeiten bleiben malerisch-abstrakt und doch durch gefundene Motive inspiriert.
Vorlagen sind scheinbar unspektakuläre Details aus der Natur wie beispielsweise Insektenfraß im Holz, Käferspuren im Sand, Gras oder punktförmig sich ausbreitender Pilz auf einem Blatt, Strukturen, die sie niemals naturalistisch als Darstellung etwa von Landschaft oder Vegetation interpretiert, sondern vielmehr als Auslöser visueller Wahrnehmung einsetzt. Nüchtern und distanziert reduziert sie die gewählten Phänomene auf grafische Kürzel, ohne sich dabei in romantische, sentimentale Naturromantik zu verlieren. In den Arbeiten lassen sie sich als Landschaftsbeschreibungen lesen oder als freie Liniensetzungen.
Hinter den Abstraktionen vermögen sich auch Zeichen menschlicher Kommunikation zu verbergen, wie z.B. Schriften aus der (menschlichen) Umgebung, mit denen sich Iris Thürmer auseinandersetzt, doch liegt auch hier ihr Interesse im Suchen und Finden struktureller Systeme.
Die Papierarbeiten entstehen seriell, sie zeichnet – ist die malerische Oberfläche erst einmal aufgetragen - eine unmittelbare, „schnelle“ Herangehensweise aus, Bewegung, Rhythmus und Direktheit in der Liniensetzung in oft fast beschwörenden Wiederholungen bestimmen die Wirkung. Ein räumliches Abstandnehmen zum Bild verleitet Ordnungselemente motivisch zu identifizieren. Horizontale Linien werden dann beispielsweise zu einem bewegten Feld von Gräsern, ein Liniengewirr zum verschlungenen Geäst.
Bedeutung und Bedeutungslosigkeit, Erkennbarkeit und bloße Assoziation sind Spannungspaare, die sich unmittelbar beim Betrachter aufbauen.
Iris Thürmers Arbeiten sind wie Beobachtungen auf einer Reise durch die vorbeifließende Landschaft, in der Erinnerung verfestigt als Strukturen, Punkte, Linien oder Kürzel, Frequenzen einer flüchtigen Betrachtung, ein persönliches Seherlebnis von Landschaft, unsentimental doch innig mit der Natur verbunden.
Dr. Katja Schlenker, 2005

 
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